Die alte Orgel (Kirchner-Schenke)

1939 hatte der Orgelbaumeister Gerhard Kirchner aus Weimar tiefgreifende Umbaupläne für die Stadtkirchenorgel vorgelegt.

Die Klangideale hatten sich gewandelt. Man wollte keine sanften, warmen Klänge mehr, sondern helle strahlende.

Die Pläne wurden kriegsbedingt nicht verwirklicht.

Sie sollten aber dreißig Jahre später eine entscheidende Rolle spielen.

1966 war es dann so weit. Orgelbaumeister Kirchner begann mit einem Umbau, der die Orgel völlig umgestaltete. Und nicht nur die Orgel, sondern auch den Kirchenraum. So wurde es eher ein Neubau der Orgel unter Verwendung alten Materials.

Kirchner arbeitete aber nicht allein. Von Anfang an war Siegfried Schenke, der damals schon das Camburger Kantorenamt innehatte, intensiv gestaltend dabei. Später übernahm er den Orgelbau ganz.

So kann man ohne Einschränkung von einer Kirchner-Schenke-Orgel sprechen.

Die Umbauarbeiten begannen 1966 und nahmen 1968 intensive Ausmaße an. Zunächst begann die räumliche Umgestaltung. Die Ladegast-Orgel wurde abgebaut und auf der ersten Empore gelagert.

Danach wurde die obere Empore abgebrochen. Mitglieder der Camburger Kirchgemeinde, vor allem Erich Thalis und Heinz Wick, waren an den Arbeiten beteiligt.

 

Die neue Orgel wurde von Anfang an »groß angelegt«, mit einem geplanten Principal 16’ ab E im Prospekt. Vom Gehäuse der Poppe-Ladegastorgel blieb lediglich das Sockelgehäuse erhalten. Es bildete den Unterbau des neuen Orgelprospektes, Breite gewann man, indem man die Seitenwände in die Front integrierte.

Durch das übernommene Untergehäuse war auch die Grundstruktur des neuen Prospektes vorgegeben. 

Siegfried Schenke lieferte den Entwurf für den neuen Orgelprospekt.

Zunächst erfolgten die Arbeiten durch die Firma Kirchner. Die Orgel wurde zum Teil wieder aufgestellt. Das erste Manual und das Pedal waren teilweise wieder spielbar. Dabei wurden zahlreiche Register der alten Orgel erheblich verändert. Dann ruhten die Arbeiten.

Die entscheidenden Schritte zur neuen Orgel übernahm dann Siegfried Schenke. 

 

In einem Brief an die Kirchgemeinde schreibt er am 5. November 1970: »Der Orgelbaumeister Kirchner in Weimar hat ja durch Gründe verschiedener Art die Arbeiten am Orgelumbau nicht fortführen können, sodaß ich mich genötigt sah, zumal ich als Kantor für den Umbau mit verantwortlich bin, diese Arbeiten selbst zu Ende zu führen. Durch langjährige Beschäftigung mit der Orgel und meine jetzige Tätigkeit als Orgelbauer versichere ich, dazu in der Lage zu sein«.

 

Es folgt eine ausführliche Kostenaufstellung mit Aufschlüsselung der durch Kirchner geleisteten und von Schenke noch vorgesehenen Arbeiten. Diese ist eine wertvolle Quelle, die nachvollziehbar macht, welche Arbeiten beim Neubau der Kirchner-Schenke-Orgel stattgefunden haben.

Siegfried Schenkes Antrag wurde stattgegeben. Bis 1973 vollendete er die Orgel im Wesentlichen. Einige Register kamen bis 1983 noch hinzu.

 

Was wurde nun an der Orgel getan?

Zunächst: Sie stand nun auf der ersten Empore. Dadurch war viel Raum gewonnen, sowohl für das neue Orgelwerk selbst als auch für die kirchenmusikalische Praxis. Das war und ist ein großer Gewinn. Sodann: Siegfried Schenke baute nach seinem eigenen Entwurf ein neues Orgelgehäuse. Orientiert an den Proportionen des alten Untergehäuses und den neuen Höhenverhältnissen entstand ein neuer Orgelprospekt, der den Vergleich mit Entwürfen bedeutender Orgelbaufirmen keineswegs scheuen mußte. Außerdem war das Schenke’sche Orgelgehäuse nach Aussagen von Fachleuten grundsolide gebaut. Der Prospekt hatte klare Linien und entsprach ganz der sachlichen Ästhetik jener Zeit. Er strahlte eine zugleich nüchterne und beeindruckende Würde aus.

 

Gravierend waren die klanglichen Eingriffe. Sie wurden von Gerhard Kirchner begonnen und von Siegfried Schenke fortgeführt.

Freilich darf man keine zu negativen Urteile fällen. Der Orgelbau unterliegt immer den klangästhetischen Vorstellungen und Gefühlen seiner Zeit. Was Kirchner und Schenke an der Orgel umgestaltet haben, geschah ganz im Rahmen der damaligen Orgelästhetik.

So verlor die alte Orgel sämtliche »Streicherregister« (Gambe, Geigenprincipal, Salicional, Violon, Cello), Register, die in ihrem Klang an Streichinstrumente erinnern. Das war der »Geist der Zeit«. Sie waren schlicht unmodern, und niemand mochte sie damals hören. Aber diese Register wurden nicht einfach weggeworfen. Man schnitt sie ab, die Holzpfeifen mit der Säge und die Metallpfeifen mit der Metallsäge oder der Klinge. Damit klangen sie höher und heller. Manche Pfeifen bekamen einen Deckel: So wurde aus Gambe 8’ ein Pommer 4’, der Violon wurde eine Quinte 10 2/3’, die Pfeifen des Salicional fanden sich in einem Gedackt wieder oder in einer Terzflöte – usw.

 

Alle diese Veränderungen wurden jetzt beim Neubau der Orgel wieder rückgängig gemacht, z.T. mit aufwendigen Arbeiten.

Der Orgelneubau durch Kirchner und Schenke wurde komplettiert durch den Einbau neuer, überwiegend kleiner, heller Register. Diese wurden von der Firma Sauer in Frankfurt/Oder zugeliefert. Nasat 2 2/3’, Nachthorn 2’, Quinte 1 1/3’, Oktävlein 1’, Scharff 4-fach und Cymbel 3-fach lauteten die Namen – auch, wer nicht vom Orgelbaufach ist, merkt schon an diesen Namen, daß hier eine Orgel mit sehr hellem Klang entstand.

Schließlich wurden die »Mixturen«, das sind Stimmen, bei denen mehr als eine Pfeife pro Taste klingt, gründlich umgestellt, teils unter Verwendung von Pfeifen aus anderen Registern.

Die Posaune 16’ im Pedal erhielt durch die Firma Sauer in Frankfurt/Oder neue »Köpfe und Kehlen« (das sind die entscheidenden Klangerzeuger bei diesem Register). Vorher war sie mit »durchschlagenden Zungen« ausgestattet und klang voll und rund, nun hatte sie »aufschlagende Zungen«.

Das Ergebnis war ein blecherner, schnarrender und sehr unbefriedigender Klang. Die Pfeifen sprachen auch kaum noch an: Wenn die Organistin auf die Pedaltasten trat, kam erst spät ein Ton. Oder gar keiner. Das Register wurde dadurch so verdorben, daß es in der neuen Voigt-Orgel nicht mehr zu verwenden war. Eine neue Posaune 16’ wurde gebaut.

 

Das Innenleben der Orgel wurde komplett umorganisiert. Die Orgel hatte ja nun drei Manuale auf zwei Etagen. Im I. Manual scheint die Traktur (Tonansteuerung) umgebaut worden zu sein. So entfiel das störende Klappern der Ladegast-Orgel.

Aber im II. Manual und im Pedal klapperte es weiter. Zudem stellte sich ein neues Problem ein: Das erste Manual reagierte nun viel schneller als das zweite. Ein präzises Spielen war so kaum möglich. Und manchmal »überholte« die Organistin sich selbst.

  

Eine letzte große Veränderung war der Einbau eines neuen, dreimanualigen Spieltisches. Doch der war keineswegs neu. Es handelte sich um einen gebrauchten von der Sauer-Orgel in Sondershausen aus dem Jahr 1927. Siegfried Schenke hat ihn aufgearbeitet und mit einem neuen Koppelapparat versehen. So war er von 1970-2014 Schalt-, Steuer- und künstlerische Zentrale der Orgel.

 

Eine ganz besonders abenteuerliche Geschichte haben die zehn großen Kupferpfeifen des Principal 16’ im Prospekt der Camburger Orgel.

Von Anfang an war klar, daß die Schenke-Orgel einen 16- Fuß-Prospekt haben sollte. Das war auch geboten. Die neue Orgel stand ja nun eine

Etage tiefer, es war viel mehr Raum da, und alles andere hätte einfach kein Bild gegeben. Die Töne E bis cis des Principal 16’ sollten im Prospekt stehen. Allein: Es gab kein Material. Jahrelang bemühte sich die Kirchgemeinde, »aus dem Westen« per Geschenksendung Zinkblech in den erforderlichen Stärken zu beschaffen. Denn das gab es in der DDR nicht. Am Ende ist es nicht gelungen. Aber auf verschlungenen Wegen war Kupferblech zu bekommen. 1971 war es schließlich geliefert. Nun mußten »nur noch« die Pfeifen gebaut werden. Und das ging in typischer Weise der DDR- Mangelwirtschaft. Man muß »jemanden kennen«. Siegfried Schenke kannte Manfred Sperlich, den Pfeifenmacher der Orgelbaufirma Böhm in Gotha. Während seiner Orgelbauerlehre waren sie Kollegen gewesen. So nahm sich Manfred Sperlich vierzehn Tage Urlaub. Er gab die Maße nach Camburg durch, Siegfried Schenke, sein Sohn Thomas und Helfer schnitten die Bleche zu.

Damit daraus Pfeifen werden, mußten sie aber noch zu Röhren gebogen werden. Dazu braucht es ein Maß. Orgelbaufirmen haben dazu Metall- oder Holzstäbe in den erforderlichen Stärken. Wieder »kannte« Siegfried Schenke jemanden und wußte sich zu helfen. Er besorgte alte Telegrafenmasten und ließ sie auf der großen Drechselbank in der LPG Frauenprießnitz auf Maß drehen. Nun waren die Lehren für die Pfeifenherstellung da. Bis zu vier Männer waren nötig, um die Kupferbleche um die Lehren zu biegen. Auf der Orgelempore in Camburg wurden die Pfeifen dann zusammengelötet.

Da die Gemeinde so lange um diese Pfeifen gerungen hat, weil sie von guter Qualität sind, und als Reminiszenz an die Schenke-Orgel sind sie auch in die neuen Voigt-Orgel übernommen worden. Die Firma Voigt hat sie durch Intonationsarbeiten dem Klangkonzept der neuen Orgel angeglichen.

 

Am 9. Dezember 1973 war Orgelweihe.

Siegfried Schenke rechnet bei der Kirchgemeinde »für 8 Solisten je 15,- M« ab. Das waren durchaus überschaubare Preise.

Die Orgel wurde durch Landesbischof Ingo Braecklein eingeweiht. Es war ein beachtliches Werk entstanden.

Sicher, das war eine Orgel mit der Ästhetik ihrer Zeit, innen und außen.

Aber Siegfried Schenke hat mit Können und Gestaltungskraft eine durchaus bedeutende Orgel geschaffen.

 

Jetzt, da die neue Voigt- Orgel gebaut wird, sind darum zahlreiche Reminiszenzen an die Schenke-Orgel erhalten worden.

So wurde das Orgelgehäuse wiederverwendet. Lediglich in der Ansicht gibt es Veränderungen.

Schenkes Kupferprincipale klingen weiter.

Im Inneren der Orgel wurde eine Wartungstreppe von Schenke integriert (und eine noch ältere von Poppe, die zuvor auf dem Kirchenboden stand).

Die Orgelbank und die Pedalklaviatur, einst von Schenke gebaut, tun nun in der neuen Voigt-Orgel ihren Dienst.

Nach der Orgelweihe im Jahr 1973 fehlten noch einige Register.

Mit viel Engagement von Siegfried Schenke und der Kirchgemeinde konnten 1975 ein »Rankett 16’« für das III. Manual und 1983 eine »Trompete 8’« für das I. Manual angeschafft werden. Damit war die Orgel im Wesentlichen vollendet.

 

 

Sie hatte nun folgende Disposition

Hauptwerk – Manual I C-f’’’

Bourdon 16’

Principal 8’

Hohlflöte 8’

Gemshorn 8’

Octave 4’

Spitzflöte 4’

Nasard 2 2/3’

Octave 2’

Terz 1 3/5’

Quinte 1 1/3’

Mixtur 5f 1 1/3’

Trompete 8’

 

Schwellwerk –Manual II C-f’’’

Liebl. Gedackt 16’

Rohrflöte 8’

Principal 4’

Flöte dolce 4’

Quintflöte 2 2/3’

Nachthorn 2’

Scharff 4f 1’

Rohrschalmey 8’

 

Positiv – Manual III C-f’’’

Liebl. Gedackt 8’

Pommer 4’

Princ. Flöte 2’

Octävlein 1’

Cimbel 3f 1’

Rankett 16’

 

Pedal C-d’

Principalbaß 16’

Subbaß 16’

Principal 8’

Gedacktbaß 8’

Quinte 10 2/3’

Octave 4’

Mixtur 4f 2 2/3’

Posaune 16’

 

Alle Normalkoppeln

3 freie Kombinationen Schweller für II